Definition Schwerbehinderung
Menschen sind behindert, sofern ihre körperliche Funktionen, geistige Fähigkeiten oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate - von dem für das Lebensalter typischen Zustand - abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Menschen sind schwerbehindert, sofern bei ihnen ein Grad der Behinderung (GdB) von wenigstens 50 v.H. vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben. Am 22.06.2001 wurde das Schwerbehindertengesetz (SchwbG) durch das Sozialgesetzbuch IX (kurz SGB IX) ersetzt.
Inhaltsverzeichnis
Nachteilsausgleiche für Schwerbehinderte
Schwerbehinderte erhalten im Kalenderjahr 2024 folgende Pauschbeträge nach § 33b EStG als Nachteilsausgleich:
Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 20 --> 384,00 €;
Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 30 --> 620,00 €;
Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 40 --> 860,00 €;
Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 --> 1.140,00 €;
Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 60 --> 1.440,00 €;
Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 70 --> 1.780,00 €;
Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 80 --> 2.120,00 €;
Grad der Behinderung (GdB) mindestens 90 --> 2.460,00 €;
Grad der Behinderung (GdB) 100 --> 2.840,00 €;
Behinderte Menschen (hilflos, blind oder taub) --> 7.400,00 €
Weitere Vorteile: Kindergeldanspruch auch nach dem vollendeten 25. Lebensjahr
Schwerbehinderte mit Nachteilsausgleich "aG", "G", "Bl", "TBl" oder "H" haben einen zusätzlichen Freibetrag für PKW-Privatfahrten
Sonderkündigungsschutz im Arbeitsrecht für Schwerbehinderte und Gleichgestellte; eingeschränkt in der Unternehmensinsolvenz
Zusatzurlaub gem. § 208 SGB IX; allerdings nicht für Gleichgestellte
Möglichkeit einer vorzeitigen Altersrente bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres (Altersrente für schwerbehinderte Menschen)
Geringere Belastungsgrenzen bei Zuzahlungen; Krankenfahrten zur ambulanten Arztbehandlung (Taxischein)
Mehrbedarf im Sozialhilferecht und bei Bürgergeld; Einkommensfreibetrag für Wohngeld
Technische Hilfen am Arbeitsplatz
Freistellung von Mehrarbeit
Merkzeichen der Versorgungsverwaltung
Merkzeichen "G": Erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr
Merkzeichen "aG": Außergewöhnliche Gehbehinderung; Fortbewegung ist auf das schwerste eingeschränkt
Merkzeichen "B": Ständige Begleitung erforderlich
Merkzeichen "RF": Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht
Merkzeichen "H": Hilflosigkeit
Merkzeichen "Gl": Gehörlos
Merkzeichen "Bl": Blind
Merkzeichen "TBl": taubblind
Unentgeltliche Beförderung im Nahverkehr; Ermäßigung KfZ-Steuer; bei entsprechendem Merkzeichen "G"
Parkerleichterungen/Schwerbehindertenparkplatz und vollständige Befreiung von Kfz-Steuer; Merkzeichen "aG"
Die Gleichstellung
Behinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, werden Schwerbehinderten gleichgestellt, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder nicht behalten können. Die Gleichstellung wird nach Feststellung durch das Versorgungsamt bei der Arbeitsagentur beantragt und gewährt. Die Gleichstellung bedeutet, dass Arbeitnehmer denselben besonderen Kündigungsschutz genießen wie schwerbehinderte Arbeitnehmer. Die Gleichstellung gewährt dem Arbeitnehmer keinen Zusatzurlaub nach § 208 SGB IX. Auch eine abschlagsfreie Frühverrentung kommt nur bei einer Schwerbehinderung und nicht bei einer Gleichstellung in Frage. Die Gleichstellung ist aber für Arbeitnehmer interessant, bei denen die abstrakte Gefahr besteht eines Arbeitsplatzverlustes droht. Diese abstrakte Gefahr könnte sich zum Beispiel ergeben aus:
- Häufige behinderungsbedingte Arbeitsunfähigkeitszeiten des Arbeitnehmers
- Verminderte Arbeitsleistung oder Belastbarkeit des Arbeitnehmers aufgrund seiner Behinderungen
- Notwendige Hilfeleistung durch Dritte am Arbeitsplatz
- Aufhebungsvertragsangebote des Arbeitgebers
- Abmahnungen des Arbeitgebers, z.B. wegen unterdurchschnittlicher oder schlechter Arbeitsleistung
- Bereits ausgesprochene und vor dem Arbeitsgericht gescheiterte Kündigungen des Arbeitgebers in der Vergangenheit
Damit Ihnen eine Gleichstellung Vorteile im Arbeitsleben bringen kann, muss ein positiver Bescheid der Arbeitsagentur bereits zum Zeitpunkt des Zugangs der Arbeitgeberkündigung vorliegen. Eine Ausnahme gilt, wenn bereits drei Wochen vor Zugang der Kündigung ein Antrag auf Gleichstellung bei der Arbeitsagentur gestellt wurde und die längere Verfahrensdauer alleine durch die Arbeitsagentur und nicht durch den Antragsteller zu vertreten ist. Der Antrag auf Gleichstellung ist mit Bedacht zu stellen, da der Arbeitgeber regelmäßig vom Antrag durch die Arbeitsagentur informiert wird.
Rechtsweg im Schwerbehindertenrecht
Die zuständige Behörde für die Feststellung der Schwerbehinderung ist das Versorgungsamt. Hier eine Auswahl der Versorgungsämter der Umgebung:
- Versorgungsamt Heidelberg, Eppelheimer Straße 15, 69115 Heidelberg, Telefon: 06221 522-2888 (Versorgungsamt Heidelberg)
- Versorgungsamt Landau, Reiterstraße 16, 76829 Landau, Telefon: 06341 26-222 (Versorgungsamt Landau)
- Versorgungsamt Darmstadt, Schottener Weg 3 (am Messplatz), 64289 Darmstadt, Telefon: 06151 - 7380 (Versorgungsamt Darmstadt)
Gegen einen ablehnenden Bescheid des Versorgungsamtes können Sie binnen einer Frist von einem Monat ab Bekanntgabe des Bescheides Widerspruch erheben. Es wird sodann entweder ein Abhilfebescheid ergehen oder ein ablehnender Widerspruchsbescheid erlassen. Im Falle eines ablehnenden Widerspruchsbescheides können Sie binnen einer Frist von einem Monat ab Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides eine Klage zum örtlich zuständigen Sozialgericht erheben. Befindet sich der Wohnsitz im Ausland, gelten verlängerte Fristen. An die erste Instanz vor dem Sozialgericht schließt sich eventuell ein Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht und unter Umständen die Revision vor dem Bundessozialgericht an. Eine Beauftragung des Rechtsanwaltes Ihres Vertrauens kann bereits im Widerspruchsverfahren empfehlenswert sein, sofern bereits im Widerspruchsverfahren durch die Angaben zum Streitgegenstand eine Weichenstellung erfolgen könnte.
Rechtsschutz und Kosten
- Rechtsschutzversicherung:
Die meisten Rechtsschutzversicherungen übernehmen keine Rechtsanwaltsgebühren für eine Beratung und das Widerspruchsverfahren. Sie sind aufgrund ihrer Allgemeinen Rechtschutzbedingungen (ARB) erst ab dem Klageverfahren eintrittspflichtig. Gelegentlich kommt es vor, dass Erstberatungskosten aus Kulanzgründen von der Rechtsschutzversicherung getragen werden. Einige Rechtsschutzversicherungen versichern allerdings bereits das Widerspruchsverfahren.
- Rechtsanwaltsgebühren:
Die Höhe der Gebühren richtet sich im Regelfall nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG). In besonders komplizierten oder arbeitsintensiven Fällen kann eine Gebührenvereinbarung angemessen und erforderlich sein. Die Anwaltskosten sind abhängig vom Umfang, dem Haftungsrisiko und der Schwierigkeit der Angelegenheit. Die Gebühren für ein erstes Beratungsgespräch (sog. Erstberatung) in einer Rechtsangelegenheit betragen in der Regel 190,00 € (zuzüglich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer). Es besteht die Möglichkeit, beim Amtsgericht einen Beratungshilfeschein zu beantragen. Im Widerspruchsverfahren entsteht eine Geschäftsgebühr und eventuell eine Einigungs- oder Erledigungsgebühr nebst Auslagenpauschale, Dokumentenpauschale, eventuell Fahrtkosten und Umsatzsteuer. Im Klageverfahren entsteht in der ersten Instanz eine Verfahrensgebühr, eine Termingebühr, eventuell eine Einigungsgebühr oder Erledigungsgebühr nebst Auslagenpauschale, Dokumentenpauschale, eventuell Fahrtkosten und Umsatzsteuer. Die Gebühren sind variabel (Rahmengebühren). Wir unterbreiten Ihnen gerne nach Kenntnis des Streitgegenstandes einen Kostenvoranschlag. Unterliegt die Behörde, dann trägt sie im Regelfall die Anwaltskosten.
- Prozesskostenhilfe: Im Falle von Mittellosigkeit besteht die Möglichkeit, im Gerichtsverfahren sog. Prozesskostenhilfe zu beantragen. Der Staat trägt dann nach Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse eventuell die Rechtsanwaltskosten. Er überprüft jedoch in einem Zeitraum von vier Jahren, ob er sich beim Antragsteller die vorgestreckten Kosten wiederholen kann. Unter diesem Link finden Sie einen weiterführenden Prozesskostenhilferechner.
Schwerbehindertenrecht - häufig auftretende Problemkreise
Die Schwierigkeit der Fallbearbeitung im Schwerbehindertenrecht liegt in folgenden Bereichen:
1. Bereits bei der Antragstellung oder spätestens im Widerspruchsverfahren sollte Einfluss auf die medizinischen Atteste genommen werden. Die Benennung von Diagnosen ist regelmäßig nicht zielführend.
2. Besondere Schwierigkeiten entstehen sowohl bei der Bewertung des Einzel-GdB (Grad der Behinderung) aufgrund der versorgungsmedizinischen Grundsätze als auch bei der integrativen Bewertung des Gesamt-GdB;
3. Voreilige Annahme einer Heilungsbewährung nach Krebserkrankung durch die Versorgungsverwaltung;
4. Inhaltliche Auseinandersetzung mit medizinischen Fachgutachten; Besonderheit der Waffengleichheit durch zweites Gegengutachten. Hoher Schwierigkeitsgrad der Fallbearbeitung. In solchen Fällen sollte entweder ein Fachanwalt für Sozialrecht oder zumindest ein Rechtsanwalt mit ausgewiesenem Schwerpunkt "Schwerbehindertenrecht" eingeschaltet werden. In diesem Zusammenhang ist von Rechtsschutzversicherten ferner zu berücksichtigen, dass in Deutschland freie Anwaltswahl gilt und die Interessen der Rechtsschutzversicherungen bei Empfehlung eines Kooperationsanwaltes sowie die Interessen des Versicherten nicht gleichgelagert sind. Der Rechtsschutzversicherte sollte sich daher vergewissern, dass der empfohlene Kooperationsanwalt tatsächlich seinen Tätigkeitsschwerpunkt im Sozialrecht oder Schwerbehindertenrecht hat.
Rechtsprechung zum Schwerbehindertenrecht
Beschluss des BAG vom 09.05.2023, Az: 1 ABR 14/22: Der Betriebsrat eines Unternehmens hat einen Anspruch auf Auskunft der Namen der schwerbehinderten und gleichgestellten Arbeitnehmer nach § 80 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Der BR hat die Aufgabe, die Eingliederung schwerbehinderter und gleichgestellter Menschen zu fördern.
Urteil des Bundessozialgerichtes vom 09.03.2023, Az: B 9 SB 1/22 R: Für die Feststellung des Merkzeichens "aG" ist in räumlicher Hinsicht auf eine Umgebung abzustellen, wie sie nach dem Verlassen eines Kraftfahrzeugs typischerweise vorzufinden ist. Sturzgefahr rechtfertigt das Merkzeichen "aG" nur dann, wenn der Betroffene aus der objektiven und medizinisch begründeten Sicht eines verständigen behinderten Menschen dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Der Vergleich mit dem Gehvermögen von Doppeloberschenkelamputierten nicht mehr statthaft
Urteil des BSG vom 27.10. 2022, Az: B 9 SB 1/20 R: Die Anhörung eines nach § 109 Abs 1 Satz 1 SGG benannten Arztes bleibt auch dann ein geeignetes Beweismittel, wenn eine Begutachtung durch von Amts wegen ausgewählte Sachverständige gescheitert ist. Das BSG hat damit als Revisionsinstanz der nachfolgenden Rechtsprechung des LSG eine Absage erteilt.
Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 14.12.2018, Az: L 8 R 2569/17: Weigert sich der Kläger ohne nachvollziehbaren Grund, sich von dem gerichtlich bestellten Sachverständigen begutachten zu lassen, so muss das Gericht diesem Verfahrensbeteiligten keinen anderen Sachverständigen anbieten. In einem solchen Fall kann auch einen Antrag nach § 109 SGG als rechtsmissbräuchlich anzusehen sein.
Rechtsanwalt Christian Sehn - Fachanwalt für Sozialrecht
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