Beiträge zum Stichwort »Sozialrecht«
Kindergeld, Einkommensgrenze +Fallbeileffekt
Beschluss des Bundesfinanzhofes vom 29.05.2008, Akz: III R 54/06:
1. Ausgangssituation:
Der Bezug von Kindergeld ist abhängig vom Verdienst des Kindes. Wurde
bisher der Grenzbetrag in Höhe von 7.680,- € auch nur um 1,- €
überschritten, so mussten die Eltern des Kindes auf das gesamte Kindergeld
des Kalenderjahres verzichten (sog. "Fallbeileffekt"). Meistens ergehen -
nachdem am Ende des Jahres sämtliche
Ausbildungsvergütungsbescheinigungen eingereicht wurden - parallel zwei
oder drei Bescheide der Familienkasse. Zunächst ein Aufhebungsbescheid
für das abgelaufene Kalenderjahr, ein Rückforderungsbescheid für
das bereits ausbezahlte Kindergeld im abgelaufenen Kalenderjahr und
schließlich noch ein Aufhebungsbescheid für das aktuelle
Kalenderjahr. Ein Einspruch gegen den Bescheid entwickelt bedauerlicherweise
keine aufschiebende Wirkung. Also muss zusätzlich zur Klageeinreichung
noch ein Antrag auf "Aussetzung der Vollziehung" gestellt werden. Kompliziert
und für den Bürger undurchschaubar wird die ganze Angelegenheit auch
dadurch, dass für eine klassisch sozialrechtliche Materie der Weg
über die Finanzgerichtsbarkeit und die Anwendung der AO vorgeschrieben
ist.
2. Entscheidungen
In den letzten Jahren sind mehrere Entscheidungen zugunsten der
Bezugsberechtigten von Kindergeld ergangen. So sind nach einem Urteil des
Bundesverfassungsgerichtes vom 11.01.2005, Aktenzeichen: 2 BvR 167/02 z.B. die
Werbungskosten und die Aufwendungen für die Sozialversicherungen vom
Bruttoeinkommen abzugsfähig. Die Einkünfte und Bezüge
dürfen jedoch nach Abzug des Arbeitnehmerpauschbetrages und der
Aufwendungen für die Sozialversicherungsbeiträge nach wie vor den
Grenzbetrag von 7.680,00 € nicht überschreiten. Wenn der Grenzbetrag
nur um einen Euro überschritten wurde, war der Anspruch auf Kindergeld
vollständig entfallen.
Das Finanzgericht Niedersachsen, Aktenzeichen 1 K 76/04 vom 23.2.2006 war der
Meinung, dass der "Fallbeileffekt" verfassungswidrig sein könnte. Das
anschließende Revisionsverfahren vor dem Bundesfinanzhof wurde allerdings
von der Familienkasse zurückgenommen. Der Hintergrund hierfür war der
Umstand, dass der Bundesfinanzhof in anderen Revisionsverfahren die
Berücksichtigung privater Krankenversicherungsbeiträge zugunsten der
Kindergeldempfänger zugelassen hatte. Zum eigentlichen Streitpunkt wurde
zwischenzeitlich beim BFH ein neues Revisionsverfahren mit dem Aktenzeichen:
III R 54/06 eingereicht. In diesem Verfahren ging es u.a. auch um die Frage der
Berücksichtigung von Lebensversicherungsbeiträgen des Kindes im
Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG.
Bedauerlicherweise hat der Bundesfinanzhof in dem oben genannten Beschluss -
ohne nähere Begründung und unter Berufung auf die bisherige
Rechtsprechung des VI. und VII. Senates des BFH - erklärt, dass die
Ausgestaltung des Grenzbetrages nach § 32 Abs. 4, Satz 2 EStG als
Freigrenze verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Die Revision wurde
deshalb nicht zugelassen.
3. Ausblick
Die Hoffnungen der Leidtragenden des "Fallbeileffektes" sind durch die
Entscheidung des BFH etwas gedämpft worden. Allerdings gilt auch hier der
Grundsatz "Roma locuta causa finita" (freie Übersetzung: Wenn Rom
gesprochen hat, ist der Fall beendet). Erst nach der
letzten Instanz ist die Angelegenheit
tatsächlich beendet.
Darüber hinaus ist immer wieder festzustellen, dass den Familienkassen
schon bei der Berechnung der Einkünfte und Bezüge sowie der
Berücksichtigung von Freibeträgen gravierende Fehler zum Nachteil der
Antragsteller unterlaufen. Eine Überprüfung der Bescheide durch den
Rechtsanwalt kann sich daher durchaus lohnen.
Alg 2 und Telefonanschluss
Urteil des Sozialgerichtes Dresden vom 01.08.2008, Az.: S 6 AS 1786/06:
Arbeitslosengeld II-Empfänger haben keinen Anspruch auf Erstattung der
Kosten für einen Telefonanschluss. Die Kammer des SG führt aus, dass
der Gesetzgeber im SGB II einen Anspruch auf einen Zuschuss zur Erstausstattung
der Wohnung vorsieht. Von diesem Zuschuss wird zwar die Ausstattung einer
leeren Wohnung mit Einrichtungsgegenständen und –geräten, nicht
jedoch ein Telefonanschluss umfasst - Die Entscheidung ist
nach unserer Recherche bisher noch nicht rechtskräftig.
Alg 2 und Verpflegungsmehraufwand
Beschluss Sozialgericht Dresden
vom 26.06.2008, Akz: S 21 AS 1805/08
ER:
Steuerfreie Verpflegungsmehraufwendungen sind nicht als Einkommen auf das
Arbeitslosengeld II anrechenbar. Der Antragsteller lebt mit der
Lebensgefährtin und dem Sohn in Dresden. Er arbeitet als Monteur in den
Niederlanden. Neben seinem Lohn erhält er im Monat steuerfreie
Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von knapp 530,00 € vom
Arbeitgeber. Zusätzlich hat er Arbeitslosengeld II als Aufstockerleistung
beantragt. Die Arge lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, dass das
Verpflegungsgeld als Einkommen anzurechnen sei. Das Sozialgericht Dresden gab
dem Antragsteller recht. Die Ernährung fernab vom eigenen Haushalt ist
teurer als zu Hause - der Gesetzgeber hat diese Aufwendungen bewusst steuer-
und sozialversicherungsfrei gestellt. Eine Anrechnung auf das Arbeitslosengeld
II muss daher unterbleiben - ***
Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18.03.2008, Akz: L 3 AS
127/07:
Schönes Urteil zu den sog. 1-Euro-Jobs. Eine Arbeitszeit von 30 Stunden
pro Woche (+ Fahrzeiten zur Arbeit) ist im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit mit
Mehraufwandsentschädigung (MAE) nicht mehr zumutbar. Es muss dem
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ausreichend Zeit für Bewerbung
auf Stellen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verbleiben. Die ARGE hatte dem
Kläger den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung mit einer
Arbeitsgelegenheit von 30 Stunden wöchentlich für drei Monate bei
einer Mehraufwandsentschädigung von 1,25 Euro je Arbeitsstunde angeboten.
Der Kläger hat den Abschluss dieser Vereinbarung ablehnt. Die ARGE hat
daraufhin als direkte Reaktion die Regelleistung des Arbeitslosengeldes II um
30 % gekürzt. Das LSG hob die Entscheidung des Sozialgerichtes und die
angefochtenen Bescheide auf. Nach Ansicht des Landessozialgerichtes ist eine
Wochenarbeitszeit von 30 Stunden und zusätzlich 45 Minuten pro Strecke von
der Wohnung zum Einsatzort nicht zulässig. Die Arbeitsuche erfordere
ausreichend Zeit für das Lesen von Arbeitsangeboten, das Schreiben von
Bewerbungen, das Bewerbungsgespräch bei Arbeitgebern und das Aufsuchen der
Agentur für Arbeit - ***
Bundesrechnungshof, 1-Euro-Job und Jobcenter
Der Bundesrechnungshof hat deutliche Kritik an der Arbeit der Job-Center
geübt.
1. viele Arbeitssuchende würden nicht beraten
und
2. mit 1-Euro-Jobs werde in großem Stil Missbrauch getrieben.
Missbrauch stellten die Prüfer des Bundesrechnungshofes vor allem bei den
1-Euro-Jobs fest. Nach Auskunft der Pressestelle war bei zwei Drittel der
geprüften Maßnahmen mindestens eine Fördervoraussetzung nicht
erfüllt. Es wurden verschärfte Kontrollen angekündigt
- Zur Erinnerung dürfen wir noch einmal darauf
hinweisen, dass die Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung
mehrere Voraussetzungen erfüllen müssen:
- im öffentlichen Interesse liegen
- auf zusätzliche Arbeiten beschränkt sein
- verhältnismäßig sein
- ausreichend bestimmt sein
- zur Eingliederung in die Arbeit geeignet sein
- Der Träger der Maßnahme muss ferner gewisse geforderten Standards erfüllen
Elterngeld und Provision/Weihnachtsgeld
Sozialgericht Münster, Urteil 25.09.2007, Akz: S 2 EG 26/07: Nach Ansicht des SG Münster sind bei der Berechnung des Elterngeldes Einmalzahlungen in Form von Provisionen und Sondergratifikationen (z.B. 13 Monatsgehalt) nicht berücksichtigungsfähig.
Hinterbliebenenrente und Fremdrentengesetz
Sozialgericht Dortmund, Urteil vom 29.10.2007, Akz: S 23 KN 41/06 U: Deutsche Sozialversicherungsträger können eine in Polen gezahlte Rente einschließlich des dortigen Steuervorabzuges (sog. Bruttorente) von der für denselben Versicherungsfall gezahlten deutschen Rente in Abzug bringen.
AlG II und geschwärzte Kontoauszüge
Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 3. Januar 2008, Akz: L 8 AS
5486/07 ER-B:
Wichtige sozialrechtliche Entscheidung: Personen -
die einen Antrag auf Arbeitslosengeld II stellen - müssen vollständig
lesbare Kontoauszüge für die vergangenen drei Monate vorlegen ! Nach
Ansicht des Gerichtes ist es dabei unzulässig, einzelne Angaben unter
Berufung auf den Datenschutz zu schwärzen. Der zuständige
Leistungsträger müsse in jedem Einzelfall in der Lage sein, die
Angaben des Antragstellers zu überprüfen. Hierzu seien sowohl die
Zahlbeträge als auch Buchungstexte aller Kontobewegungen auf dem
Kontoauszug im besonderen Maße geeignet. Da die Leistungsempfängerin
keine solchen Kontoauszüge vorgelegen wollte, wurde ihr Antrag von der
Behörde nicht weiter bearbeitet. Das Landessozialgericht war der Meinung,
die Behörde habe sich richtig verhalten. Sie dürfe auf die Vorlage
ungeschwärzter Kontoauszüge bestehen, selbst wenn kein konkreter
Verdacht auf Leistungsmissbrauch bestehe - aber: andere
Entscheidung des Hessischen LSG im Beschluss vom 22. August 2005, Akz: L 7 AS
32/05 ER. Wahrscheinlich ist ein Grundsatzurteil des Bundessozialgerichts zur
Klärung der Rechtslage erforderlich.
Medikamentenzuzahlung
Urteil des Bundessozialgerichtes vom 22.04.2008, Akz: B 1 KR 10/07 R:
Die Regelleistung des Arbeitslosengeld II (derzeit 347 €) liegt nach
Einschätzung der Sozialrichter über dem verfassungsrechtlich
geschützten physischen Existenzminimum. Arbeitslose müssen daher auch
zukünftig die gesetzlichen Zuzahlungen für Medikamente und weitere
Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlen. Das BSG hat die Klage
AlG-Empfängers abgewiesen, der der Meinung war, dass die Zuzahlung
aufgrund der knappen Regelleistung nicht zumutbar sei. Sie führe zu einer
Unterschreitung des Existenzminimums und damit zur Verletzung seiner
Menschenwürde und körperlichen Unversehrtheit. In einem anderen Fall
mit dem Akz: B 1 KR 18/07 R hatte der Kläger argumentiert, die Zuzahlungen
könnten Arbeitslose und andere einkommensschwache Menschen davon abhalten,
rechtzeitig zum Arzt zu gehen. Durch die Verschleppung von Krankheiten
entstünden so noch höhere Kosten. Auch dieses Argument konnte die
Richter nicht überzeugen.
Wohnungseinrichtung
Beschluss des LSG Sachsen-Anhalt vom 14.02.2007, Akz: L 2 B 261/06 AS ER:
Das Landessozialgericht hat entschieden, dass ein Pauschalsatz in Höhe von
1.100 Euro für einen allein stehenden Bezieher von Arbeitslosengeld II
ausreicht, um die Möbel, Hausrat und Haushaltsgeräte anschaffen zu
können, die für eine geordnete Lebensführung - z.B nach einem
Wohnungsbrand - notwendig sind.